#8 - EU-Taxonomie & der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit
Im gegenwärtigen öffentlichen und politischen Diskurs werden die Begriffe Nachhaltigkeit und Ökologisch oft synonym verwendet. Dabei umfasst Nachhaltigkeit per Definition auch soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Das trinitarische Begriffsverständnis der Nachhaltigkeit geht auf den Abschlussbericht (1987) der Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen zurück. Umweltpolitische Ziele wurden dort ökonomischen und sozialen Vorgaben gleichgestellt. Bei der Umsetzung ihrer Sustainable Finance Strategie orientiert sich die EU ebenfalls an diesem Dreiklang. Zwar wurden ob der Dringlichkeit die Umweltschutzziele zuletzt bei der Entwicklung priorisiert (siehe z.B. die Grüne EU-Taxonomie), doch zunehmend gewinnen auch soziale Aspekte an Bedeutung und werden in politischen Vorhaben umgesetzt. Zwei Beispiele:
Mit dem sog. Green Deal adressiert erstmals ein Europäisches Rahmenwerk auch die soziale Dimension von Nachhaltigkeit.
Der Europäische Mechanismus für einen gerechten Übergang stellt darauf ab in den kommenden sechs Jahren die sozioökonomischen Auswirkungen der wirtschaftlichen Transformation in betroffenen Regionen abzufedern.
Letzt genanntes Instrument greift der Kritik an den hohen Kosten und der sozialen Sprengkraft der Transformation vorweg. Betroffene Menschen, Branchen, Länder und Regionen werden Angaben der EU-Kommission zufolge daher mit insgesamt 65-75 Mrd. Euro unterstützt.
Noch in der Entwicklungsphase befindet sich die Soziale EU-Taxonomie. Sie setzt an den in der Grünen Taxonomie formulierten sozialen Mindeststandards an. Zugleich greift sie den während der Covid-19 Pandemie forcierten Trend einer steigenden Nachfrage nach sozial-ethischen Geldanlagen auf. Die steigende Nachfrage erklärt sich u.a. aus den (finanziellen) Risiken, die sich aus einer Nichtbeachtung sozialer Aspekte ergeben. Bei der Formulierung von Sozialzielen ähnlich den Umweltschutzzielen der Grünen Taxonomie stellt sich jedoch das Problem, dass Vorgaben für Sozial-Ziele anders als für CO2-Emissionen nicht auf einer naturwissenschaftlich-objektiven Basis beruhen, sondern aus internationalen Rahmenverträgen, Normen und Prinzipien hergeleitet werden müssen. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich der geplante Aufbau der Sozialen Taxonomie etwas anders. So soll die Strukturierung sozialer Aktivitäten entlang von zwei Fragen betrachtet werden:
How is business done?
What kind of business is done?
Die erste Frage legt dabei den Fokus auf den Umgang des Unternehmens mit den Menschenrechten und die Governance Strukturen. Für die zweite Frage gilt die Schaffung adäquater Lebensumstände als Bewertungsmaßstab. Ander als bei der ersten Frage stehen weniger die Unternehmen als vielmehr die Branche und deren Aktivitäten im Vordergrund.
Viele Anleger*innen berücksichtigen diese Frage bereits, wenn sie vor ihrer Geldanlage per Ausschlusskriterium Branchen aus dem Investitionsscope ausschließen. Der dualistische Aufbau greift das Problem auf, dass soziale Missstände nicht nur durch unternehmerisches Handeln ausgelöst werden, sondern auch in organisatorischen Einheiten selbst bestehen können. Für Anleger*innen bedeutet dies, bei Investitionsentscheidungen z.B. auch die internen Zustände zu beleuchten. Insgesamt wurden vorläufige zwölf konkrete Sozial-Ziele, gegliedert nach drei Säulen, formuliert.
Dies sind die aus öffentlichen Konsultationen bekannten Pläne der mit der Entwicklung betrauten Arbeitsgruppe 4 der EU-Kommission. Die einzelnen Sozial-Ziele wurden im Zwischenbericht am 12.07.2021 veröffentlicht, die Definition minimaler Sozialstandards ist für das erste Quartal 2022 geplant. Für Privatpersonen mit ethischem Anspruch an ihre Anlage bieten diese Ziele einen guten Kriterienkatalog bei ihrer Investitionsentscheidung.
Zusammenfassend zeigt sich, dass auch die sozialen Aspekte an politischer Bedeutung gewonnen haben, eine Definition einer sozial nachhaltigen Aktivität greifbar scheint und somit Unsicherheit bei Anleger*innen über wirklich nachhaltige Anlagemöglichkeiten abgebaut werden kann.
Wenn du noch mehr zur sozialen EU-Taxonomie lernen möchtest, schau doch mal bei diesem Artikel vom Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage vorbei.
Hier geht's zum Zwischenbericht zur Sozialen Taxonomie.
Gastautor: Benedikt Engel, GLS Investment