#6 - Bundestagswahl

07.09.2021

Wie du sicher mitbekommen hast bei all den Wahlplakaten und Kampagnen im Netz steht bald die Bundestagswahl an. Und das ist nicht nur irgendeine Wahl, sondern ein kritischer Moment, ein tipping point, der ganz viel entscheidet - der entscheidet, wie unsere Zukunft aussehen wird. Warum?

"3 Jahre haben wir noch Zeit" [1]. Das sagen die Experten des Weltklimarats im neuesten Bericht zur Erreichung des Ziels, die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Drei Jahre um die Kurve zu kriegen im wahrsten Sinne des Wortes: Der Höhepunkt der CO2-Emissionen muss vor 2025 erreicht werden. Was es heißt, das zu verfehlen, dazu haben wir neulich schon mal auf Instagram Stories geteilt, die ihr in den Highlights auf unserem Account findet.

Gestern kommentierte jemand eine Marketingidee von mir mit "das ist doch viel zu politisch". Wenn ich darüber nachdenke, kann ich dem gar nicht entschieden genug widersprechen. "Politik bezeichnet die Strukturen, Prozesse und Inhalte zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens" [2].

Und genau das ist doch unser aller Ziel: die Angelegenheiten unseres Gemeinwesens, unserer Gesellschaft so zu gestalten, dass sie für uns alle funktionieren. Dass wir alle auch sagen können: "Wir können uns den Luxus leisten, dass wir Menschenrechte achten heute und auch in Zukunft". Wie kann ein Impact Start-up da nicht politisch sein? Das Schokoriegel-Start-up Nu+ macht's vor als sie vor einem knappen Jahr mit ihrer Kampagne gegen die Ernährungsministerin Julia Klöckner schießen aufgrund ihrer Nähe zum Nestlé-Konzern [3].

Warum erzähl ich dir das? Damit will ich ausdrücken: Politik ist wichtig. Wählen ist wichtig. Bewusst wählen ist wichtig. Ich persönlich finde es erschreckend, wie einfach sich Parteien wie die SPD, aber allen voran die große CDU, als Lösung hinstellen können - als Lösung zu den Problemen, die SIE entstehen lassen haben. In meinen Augen ist das eine Beleidigung des Intellekts der Menschen und mich schockiert es, wie so viele Menschen das durchgehen lassen vor lauter Politikverdrossenheit.

Gestern wieder ein CDU-Wahlplakat: "Bereit für den Neuanfang". Abgebildet dazu: ein älterer, glatzköpfiger, weißer Mann in weißem Hemd lächelnd mit verschränkten Armen... Wo ist das ein Neuanfang?! Bitte lasst uns uns nicht verarschen lassen. Wir lassen uns doch nicht erzählen, dass eine Partei, die in den letzten drei Legislaturperioden (in denen SIE die Regierungsverantwortung hatte) nicht die Gelegenheit genutzt hat, zu ändern, dass in Deutschland immer noch 6 der 10 größten Klimasünder Europas stehen mit unseren Braunkohlekraftwerken - dass diese Partei auf einmal Teil der Lösung sein kann, wenn wir jetzt innerhalb von 3 Jahren die Kurve kriegen müssen [4].

"Sichere Arbeit, sichere Löhne". "Wir tun das, was Arbeit schafft". Solche Sprüche von SPD und CDU sollen die Massen beruhigen, sollen Wählerschaft sichern. Aber Arbeit um der Arbeit willen ist kein Teil der Lösung! Wir müssen bewusst arbeiten an den Stellen, an denen wir Arbeit benötigen. Und damit meine ich primär gar nicht mal technologische Herausforderungen wie Energiespeicherlösungen für erneuerbare Energie, sondern vielmehr psychische Herausforderungen, denen das Individuum in dieser Zeit der Digitalisierung, Automatisierung, Verschnellerung, Technisierung und Entmenschlichung insbesondere von Arbeit begegnet. Denn letztlich ist es der Mensch, den wir brauchen für einen Systemwandel. Woher soll ein völlig entfremdeter, lethargischer, politikverdrossener Mensch die Energie hernehmen, seine Verhaltensweisen zu ändern wie Fleischkonsum, anzufangen zu recyclen, bewusst mehr Geld für bessere Nahrungsmittel für sich und den Planeten auszugeben, den Flug nach Mallorca tauschen mit einem Wanderurlaub in den Alpen? Und wir müssen Jobs abbauen, die Arbeit leisten, die uns allen schadet. Und das selbstverständlich auffangen in einem starken Sozialsystem - genau für so etwas ist es da. "Wir tun das, was Arbeit schafft" ist ein Festhalten am Status Quo und eben kein bitter benötigter "Neuanfang".

Bitte, lasst uns nachdenken, was wir wählen. Lasst uns diskutieren - fair - mit unseren Freunden und Verwandten. Demokratie funktioniert nur, wenn wir alle uns auch mit den Themen unserer Zeit beschäftigen. Wenn wir uns alle die Mühe machen, mitzudenken, mitzuverstehen, mitzudiskutieren. Das ist das Geschenk, dass die Aufklärung uns gegeben hat und mit der Demokratie als Staatform blutig erkämpft worden ist. Tun wir das nicht, leben wir in Unmündigkeit, bevormundet nicht durch einen Despoten, sondern durch big corporates, die uns still machen und ablenken, mit sinnlosem Konsum zuschütten, um ihre Absatzziele zu erreichen und ihre Shareholder zu befriedigen.

Und an alle, die getreu dem Motto "früher war alles besser" wählen: Ja, die Welt wird komplexer. Wir sind ja bald auch 8 Mrd. Menschen auf dem Planeten. Aber glaubt ihr, dass die Parteien, in deren Regierungsverantwortung genau diese Verschlechterung der Welt stattgefunden hat, dass diese Parteien erfolgreich auf diese neue Welt reagieren können? Oder vielleicht eher die Parteien, die genau infolge dieser negativen Entwicklungen entstanden sind?

Viele sagen: Was bringt es, wenn wir als kleines Deutschland etwas machen mit China, den USA in der Welt als die großen Player. Doch was glaubt ihr, was für ein Signal an die Welt geht, wenn wir hier in Deutschland das erste mal unser Kanzleramt grün besetzen? Und ja, eine Fr. Baerbock hat vielleicht falsch zitiert - das habe ich in meiner Masterarbeit, die ich vor 2 Wochen abgegeben habe, wahrscheinlich auch. Und ja, ein Habeck hat sich bei jung & naiv nicht als VWL-Experte bewiesen. Er ist ja auch Literaturwissenschaftler, hat Philosophie studiert. Experten gibt es in Beratergremien genug für die Regierung. Lasst Experten doch Experten sein, aber Politiker eben auch Politiker. Wollen wir denn von einem Wirtschaftswissenschaftler regiert werden, der den Mensch als Produktionsfaktor ansieht? Als eine Ressource, die es einzusetzen gilt, im Idealfall ohne dass sie kaputt geht? Oder von einem Menschen, der sich in seinem Studium der Philosophie zugewandt hat - dem Versuch "die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen" [5]. Oder einer ehemaligen Aktivistin, die ihre Zeit und Energie in eine Dissertation zu Naturkatastrophen und humanitärer Hilfe im Völkerrecht gesteckt hat?

Wir brauchen Werte in der Politik, keine perfekten Experten in allen Gebieten der menschlichen Zivilisation. All das war freie Äußerung meiner persönlichen Meinung. Ich freue mich auf jede Diskussion, die ich damit anstoße.


LG Euer Nik


[1] https://www.focus.de/wissen/natur/aktivisten-leaken-klima-schockbericht-forscher-der-welt-bleiben-drei-jahre-um-das-2-grad-ziel-zu-retten_id_17030582.html

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Politik

[3] https://www.the-nu-company.com/kampagne/

[4] https://de.euronews.com/2020/07/07/6-der-10-gro-ten-eu-klimasunder-kommen-aus-deutschland

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie